Sicherung des freien Warenverkehrs
Datum: 10/01/2011
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Der Binnenmarkt ist ein wichtiger Motor für Wachstum und Beschäftigung. Für sein reibungsloses Funktionieren bedarf es jedoch der rechtzeitigen und wirksamen Umsetzung entsprechender Rechtsvorschriften. Als Hüterin der EU-Verträge überwacht die Europäische Kommission die Anwendung des EU-Rechts und untersucht Vertragsverletzungen, um sicherzustellen, dass Bürger und Unternehmen die Vorteile, die sich aus den Grundprinzipien der Union wie dem freien Warenverkehr ergeben, nutzen können.
Der Binnenmarkt stellt eine der größten Erfolgsgeschichten der EU dar. Er ist nicht nur der größte Wirtschaftsraum weltweit mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von insgesamt rund einer Billion Euro, sondern hat Schätzungen zufolge seit seiner Verwirklichung 1993 zusätzlichen Wohlstand im Wert von über 800 Milliarden Euro sowie mehrere Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Außerdem hat der Binnenmarkt zu besseren Preisen, mehr Auslandsdirektinvestitionen und einer Zunahme des Handels zwischen den EU-Mitgliedstaaten geführt.
Freizügigkeit ist das Grundprinzip der Europäischen Union. EU-Verträge garantieren vier grundlegende wirtschaftliche Freiheiten: den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Der freie Warenverkehr ist dabei von besonderer Bedeutung. So stieg etwa der Handel innerhalb der EU seit 1991 von unter 25 % des EU-BIP auf 38 % im Jahr 2005. Darüber hinaus machen Waren rund 75 % des innergemeinschaftlichen Handels aus.
Von hohem Nutzen, aber vielschichtiger Natur
Trotz dieser eindeutigen Erfolge bleibt der Binnenmarkt für Waren eine komplexe Angelegenheit. Er besteht aus sogenannten harmonisierten und nicht harmonisierten Bereichen. Harmonisierte Produkte sind solche, für die gemeinsame europäische Verfahren, Normen und Vorschriften geschaffen wurden. Bei nicht harmonisierten Produkten bestehen keine gemeinsamen Normen, aber der in EU-Verträgen verankerte Grundsatz des freien Warenverkehrs fungiert als „Sicherheitsnetz“, um zu verhindern, dass es zu ungerechtfertigten Einschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels durch Mitgliedstaaten kommt.
Der Binnenmarkt erfordert gleiche Wettbewerbsbedingungen, die durch eine Reihe von Mechanismen geschaffen werden. Die meisten nennenswerten Einschränkungen des freien Warenverkehrs sind mittlerweile beseitigt worden. Die Zahl der Beschwerden von Bürgern und Unternehmen bei der Europäischen Kommission zeigt jedoch, dass es noch immer Handelshemmnisse gibt. So etwa, wenn durch fehlerhafte Umsetzung oder Anwendung einschlägiger europäischer Rechtsvorschriften einzelner Mitgliedstaaten der Binnenmarkt verkleinert und zersplittert wird und somit nicht die gesamte EU umfasst. Dies fügt der europäischen Wirtschaft insgesamt Schaden zu.
Vor allem KMU, denen weniger Mittel zur Überwindung solcher Hindernisse zur Verfügung stehen, werden davon am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. Daher ist die Feststellung einer Vertragsverletzung und ihre Beendigung von ausschlaggebender Bedeutung für das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes.
Die nationalen Gerichte als erste Anlaufstelle müssen sicherstellen, dass der freie Warenverkehr nicht unnötig behindert wird. Daher können Bürger vor einem nationalen Gericht klagen, wenn sie der Auffassung sind, dass eine Rechtsverletzung begangen wurde.
Die Früchte des Binnenmarktes ernten
Aufgrund seiner Rolle als Motor für Wachstum und Beschäftigung ist das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes unerlässlich. Zu diesem Zweck übernimmt die Europäische Kommission eine wichtige Aufgabe bei der Überwachung der Umsetzung von EU-Rechtsvorschriften und bei der Behandlung von Vertragsverletzungen. Die Kommission untersucht – entweder im Rahmen eigener Überwachungsmaßnahmen oder aufgrund einer Beschwerde, die von einem betroffenen Bürger oder Unternehmen eingereicht wird –, ob tatsächlich eine Vertragsverletzung vorliegt.
Während der Binnenmarkt im Allgemeinen gut funktioniert, bestehen noch immer Handelshemmnisse. Dazu zählen unter anderem Einfuhrgenehmigungen, Inspektionen und Kontrollen, die Erfordernis eines nationalen Vertreters im Einfuhrmitgliedstaat, nationale Preiskontrollen und Rückerstattungen, nationale Verbote bestimmter Produkte und Werbebeschränkungen. Onlineshopping, das zu einer verstärkten Nachfrage nach schneller und problemloser Beförderung von Waren von einem Mitgliedstaat in einen anderen führt, ist in bestimmten Bereichen von Handelsbeschränkungen betroffen, die es bislang nicht gab.
Falls nach Auffassung der Europäischen Kommission eine Rechtsverletzung vorliegt, nimmt sie direkten Kontakt mit dem betroffenen Mitgliedstaat auf, um eine schnelle Lösung herbeizuführen. Wenn der Mitgliedstaat die Rechtsverletzung jedoch nicht rechtzeitig beilegt, kann die Europäische Kommission ein formales Vertragsverletzungsverfahren einleiten und den Europäischen Gerichtshof anrufen. Positive Lösungen ermöglichen Bürgern und Unternehmen eine umfassende Nutzung der Chancen, die ihnen der Binnenmarkt bietet. Außerdem hat die EU Instrumente entwickelt, um die fehlerhafte Anwendung von Binnenmarktvorschriften außergerichtlich zu klären, zum Beispiel im Rahmen des Online-Netzwerks SOLVIT (see related boxes).
Umsetzung und Anwendung von Binnenmarktvorschriften werden durch den Binnenmarktanzeiger laufend überwacht. Die jüngsten, im September 2010 veröffentlichten Daten lassen positive Tendenzen erkennen, zum Beispiel den Rückgang binnenmarktbezogener Vertragsverletzungsverfahren um 2,1 %. Um auf die Bedeutung des freien Warenverkehrs aufmerksam zu machen, hat die Europäische Kommission darüber hinaus einen Leitfaden zu diesem Thema herausgegeben.
Vertragsverletzungsverfahren in der Praxis
Die Europäische Kommission befasst sich mit zwei unterschiedlichen Kategorien von Vertragsverletzungsverfahren: solche für harmonisierte Produkte, die auf bestimmten Rechtsvorschriften und Normen basieren, sowie für nicht harmonisierte Produkte, die sich auf Garantien im Rahmen von EU-Verträgen stützen. Unten einige Beispiele für nicht harmonisierte Produkte.
Das richtige Arzneimittel verschreiben
2008 unterrichteten die belgischen Behörden in einem Rundschreiben sämtliche Krankenhäuser über das Einfuhrverbot von Arzneimitteln, die in einer Apotheke nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten zubereitet werden („formula magistralis“). Die Europäische Kommission betrachtete dieses totale Einfuhrverbot als nicht gerechtfertigtes Handelshemmnis zwischen Mitgliedstaaten und forderte Belgien zu dessen Beseitigung auf. Die belgischen Behörden hoben die Anordnung im Mai 2010 auf.
Neue Vorschriften für Wohnwagen
Im Vereinigten Königreich war nur der Einsatz von Lastkraftwagen, leichten Nutzfahrzeugen und sonstigen größeren Fahrzeugen über 3,7 t als Zugfahrzeug für Wohnwagen mit einer Breite von über 2,3 m gesetzlich erlaubt. Dies verursachte erhebliche Beschränkungen bei der Einfuhr von Wohnwagen aus Deutschland, den Niederlanden, Slowenien und Frankreich in das Vereinigte Königreich. Die Europäische Kommission entschied sich daher für die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen das Vereinigte Königreich. Nachdem entsprechende Kontakte stattgefunden hatten, änderten die britischen Behörden die nationalen Vorschriften zur maximalen Breite bestimmter Wohnwagen.
Problemlösung durch SOLVIT
Gerichtsverfahren sind kostspielig und zeitaufwendig – insbesondere für KMU – und können die Fronten verhärten. Schlichtung kann eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, juristische Auseinandersetzungen zu vermeiden und eine gütliche Einigung zu erzielen. Das von der EU unterstützte Netzwerk SOLVIT übernimmt diese Rolle durch Vermittlung und unter Ausschluss des Rechtsweges in Fällen, in denen Binnenmarktvorschriften von Behörden nicht richtig angewendet wurden. Es ist ein Zeichen des Erfolgs, dass die Anzahl der von SOLVIT behandelten Fälle ständig steigt und 2008 bereits die Marke von 1 000 überschritten hat. Die Erfolgsquote von SOLVIT liegt bei beeindruckenden 83 %.